Die Vielrednerin
Marion ist Erzieherin in einer Kita. Zu Beginn jeder Teamsitzung gibt es eine Runde, in der die Mitarbeiter*innen sagen, wie sie heute da sind, also wie es ihnen gerade geht. Ihre Kollegin Susanne hört dann nicht mehr auf zu sprechen. Was als kurze Eincheck-Runde gedacht ist, ufert dann immer wieder in einen 10-minütigen Monolog aus, der alle anderen unruhig macht. Aber niemand will unhöflich sein, und deshalb stoppt keine*r Susanne.
Leider ist die Eincheck-Runde nicht das einzige: Ob es um den geplanten Urlaub geht, die Umgestaltung des Ruheraums oder Gespräche mit den Eltern – wenn Susanne erst einmal anfängt, ist sie nicht mehr zu stoppen. Sie erzählt von ihren Erfahrungen, ihren Meinungen und ihren Plänen, erteilt unerwünschte Ratschläge und kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Wenn man ihr eine Frage stellt und nur eine rasche Antwort oder Information möchte, greift Susanne tief in die Geschichten-Truhe und beginnt ihre Monologe. Jeglichen Gesprächsaufhänger benutzt sie, um die Konversation auf sich zu lenken und was sie zu sagen hat.
Häufig teilt Susanne auch private und hochpersönliche Informationen in einer Menge und Intensität, die der Arbeitsbeziehung nicht angemessen sind. Marion dachte am Anfang: „Das kann sie einer nahen Freundin erzählen, aber warum erzählt sie es mir? Wir kennen uns doch nur oberflächlich.“ Mit der Zeit verstand sie aber, dass das Erzählte nicht Ausdruck von Vertrauen ist, sondern Zeichen eines unstillbaren Mitteilungsbedürfnisses: „Oversharing“ nennt sie es jetzt.
Marion erlebt den Kontakt mit Susanne als extrem anstrengend. Und sie weiß, dass sie nicht die einzige ist, der es so geht. Das Problem ist nur: Niemand will Susanne verletzen. Sie mitten im Erzählen zu unterbrechen kommt den Kolleg*innen unfreundlich vor. Die Signale, die sie Susanne geben (wegschauen, umdrehen, ein Blick auf die Uhr), werden von dieser nicht beachtet. Und so spricht niemand es an, alle versuchen nur irgendwie, sich im Kontakt mit Susanne loszueisen. Das stellt sich Marion auch nicht besonders schön für Susanne vor.
Und sie denkt auch: Warum ist das so bei Susanne?
Warum reden Vielredner*innen viel?
Susanne ist als Kind massiv zu kurz gekommen. Sie hatte sechs Geschwister und ist ziemlich untergegangen in dem ganzen Trubel zu Hause. Als Kind und Jugendliche hat sie es nicht kennengelernt, dass jemand sich einfach nur dafür interessiert hat, was sie denkt, was sie zu sagen hat, für ihre Erfahrungen und Erlebnisse. Sie hat sehr darunter gelitten, so zu kurz zu kommen. Ihre Strategie war es daher, sich durchzusetzen und mitzuteilen, was sie zu sagen hatte. Sich das Wort nicht mehr wegnehmen zu lassen. Sie hat gelernt, einfach weiter- und weiter zu reden, um nicht unterbrochen zu werden.
In ihren Partnerschaften später ging es nicht so sehr um sie, und Susanne möchte auch endlich einmal Raum haben. Die Strategien, die sie als Kind entwickelt hat und ihr in ihren jungen Jahren geholfen haben in ihrer lauten, chaotischen Familie sind heute, viele Jahrzehnte später, in beruflichen und privaten Situationen nicht hilfreich: Marion z.B. hat das Gefühl, keine wirkliche Gesprächspartner*n zu sein, sondern nur eine Möglichkeit, etwas abzulassen und dass es nicht um sie geht, sondern um eine Geschichte, die unbedingt mitgeteilt werden muss, egal wem. Und Susannes Sohn findet, dass Susanne eine Art Schwarzes Loch ist, das ganz viel aufsaugt – egal, wie viel sie jetzt Raum bekommt, es ist nie genug, denn Susanne leidet darunter, was sie nicht hatte als junge Person. Und das kann ihr niemand geben: Kein Kind, keine Kolleg*innen, keine Freund*innen.
Susannes Geschichte ist eine von zahlreichen Vielredner*innen. Es kann ganz unterschiedliche Ursachen geben, was Menschen zu Vielredner*innen macht. Jeder Mensch hat seine Geschichte, seine Gründe und sein Gewordensein. Das bedeutet aber nicht, dass dem Verhalten keine Grenzen gesetzt werden dürfen, denn Susannes Raumeinnehmen ist anstrengend für die ganze Kita.
Was tun bei Vielredner*innen
Im Folgenden nenne ich 15 Do’s und 3 Don’ts, die ich dir empfehlen kann für den Umgang mit Vielredner*innen:
15 Do’s
- Ich Botschaft: Sage etwas wie: „Ich möchte noch weiter über den Punkt von eben sprechen“ ; „Gerade geht es mir zu schnell“ ; „Das sind eine Menge Infos, mich überflutet das gerade. Ich brauche mal eine Pause.“
- Geschlossene Frage stellen: Du kannst Fragen formulieren, auf welche die Person ausschließlich mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten vermag. Drei solcher Fragen hintereinander unterbrechen den Gesprächsfluss. So ist es möglich, das Thema zu wechseln oder zu gehen.
- Lösungsorientierte Fragen stellen: Stelle eine Frage, die konkret auf eine spezifische Lösung fokussiert ist. Wenn Dein Gegenüber ausschweift, wieder auf die Lösung zurückkommen: „Gerade ist es wichtig, dass wir eine effektive Lösung finden. Was ist dein Vorschlag dafür?“ Am Ende des Gesprächs ist ein positiver Abschluss hilfreich, z.B. „Ich freue mich, dass wir das Problem gemeinsam lösen konnten. Danke für deinen Input.“
- Zeitbegrenzung: Bei Teambesprechungen (oder vergleichbaren Runden) gemeinsam festlegen, wie lange ein Redebeitrag sein darf. Wenn dieser Zeitrahmen überschritten wird, signalisiert die Moderation das Ende des Beitrags. So wird nicht einer Person einfach so das Wort abgeschnitten, sondern es gibt eine Regel, die alle betrifft. Alternativ dazu oder zusätzlich kannst du kannst auch die Tagesordnung miteinbeziehen: „Wir haben noch viele Punkte auf der Agenda und bis 14 Uhr Zeit. Bitte fasse dich kurz.“
- Den Namen des Gegenübers sagen: „Susanne“, „Herr Moosbauer“, „Frau Hernández“, „Jorah…“. Dies lässt die betroffene Person aufhorchen.
- Ehrlich sein im Moment: Wenn du mit der betreffenden Person zu zweit bist und diese einen Monolog beginnt, etwas sagen wie: „Ich bin beeindruckt davon, wie viel du zu diesem Thema weißt. Leider habe ich gerade nur zwei Minuten Zeit. Kannst du mir das absolut Wichtigste in aller Kürze sagen? Danke.“
- Vorausschauende Ehrlichkeit: Bei einem Team-Treffen etwas sagen wie: „Wir haben hier ziemlich viel zu tun und oft nicht so richtig Zeit für persönliche Anekdoten und Geschichten. Es kann sein, dass ich jemanden stoppe, wenn ich für etwas nicht die Zeit habe. Seid mir dann bitte nicht böse. Bei konkreten Arbeitsfragen könnt ihr natürlich auf mich zukommen.“
- Gesten und Mimik miteinbeziehen: Wenn dein Gegenüber in einem fort spricht, mit Gesten und Mimik zeigen, dass du etwas sagen willst. (Allerdings nicht den Zeigefinger oder die Hand heben.)
- Uhr stellen zum Klagen: Wenn ein*e Mitarbeiter*in sich darüber auslässt, wie schwer etwas ist oder wie schlecht es läuft, sagen: „Ich merke schon, da ist etwas nicht so, wie es sein soll. Ich schlage vor, jede Person sagt zwei Minuten, was sie stört, dann bekommen wir ein Rundumbild davon, wo momentan Unzufriedenheit herrscht.“
- Komplimente einflechten: Einhaken und den Punkt der sich in Längen mitteilenden Person bestätigen, z.B.: „Das sehe ich genau wie du. Hinzufügen möchte ich noch…“ Oder: „Das ist eine wirklich prima Idee. Ich denke auch, dass…“ Hier bekommt die viel redende Person die gewünschte Aufmerksamkeit und freut sich über das Kompliment. Du kannst den Augenblick nutzen, um eigene Gedanken einzubringen.
- Wenig Zeit des Gegenübers: Wenn du etwas in Kürze fragen oder besprechen willst, sprich dein Gegenüber an, wenn du weißt, dass es wenig Zeit hat. Dann stehen die Chancen besser, dass es sich kurz hält.
- Ins Wort fallen: Es gibt bei Vielredner*innen i.d.R. wenig natürliche Pausen, die als Unterbrechung genutzt werden können. Deshalb musst du sie auch unterbrechen, wenn alles nichts hilft. „Entschuldige Susanne…“
- Paraphrasieren: „Wenn ich dich richtig verstanden habe…“ und dann in den eigenen Worten wiederholen, was du verstanden hast. Oft haben Vielredner*innen das Gefühl, dass sie nicht verstanden werden. So kannst du zeigen, dass du zugehört und es verstanden hast.
- Gesprächsende einleiten: „Bevor wir zum Ende kommen, eine letzte Sache noch.“
- Beobachtungen über das Redeverhalten des Gegenübers als Ich-Botschaft mitteilen: „Mir ist aufgefallen, dass du lange über deine Erlebnisse und Anekdoten sprichst. Ich bin manchmal überfordert von der Länge und Dichte deiner Redebeiträge.“ Schließe mit einem Wunsch: „Was ich mir von dir wünsche ist, dass du dich kürzer fasst.“
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3 Don’ts
- Gesprächsverstärker: Üblicherweise sind sie wichtig für ein Gespräch (Ja, Hm, Nicken…), aber bei Vielredner*innen ziehen diese Signale unerwünschte Monologe noch weiter in die Länge.
- Du-Botschaften und ein unsichtbares „Wir“: „Du redest immer so viel und das wird uns allen zu viel – es geht nicht nur mir so damit!“ Es mag schon sein, dass du nicht allein mit dem Gefühl bist, aber sprich nicht für andere und bleib bei dir.
- Vor anderen bloßstellen: Wenn du dein Gegenüber auf die Langatmigkeit ansprechen willst, mach das unter vier Augen und keinesfalls vor anderen Menschen.
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Zum Schluss: Marion und ihre Kolleg*innen hatten ja die Angst, unhöflich zu sein, wenn sie Susanne unterbrechen würden. Ich möchte das Unterbrechen von Vielredner*innen positiver besetzen. Es ist nicht unverschämt, denn du Vielredner*innen Grenzen setzt – du hilfst ihnen im Gegenteil dabei, Signale wahrzunehmen, die sie sonst nicht auf dem Radar haben. Es ist ehrlicher und kongruenter, „Stopp“ zu signalisieren, anstatt sich Geschichten anzuhören, an denen du kein Interesse und/oder für die du keine Zeit hast.
Was für Erfahrungen hast du im Umgang mit Vielredner*innen? Hast du Strategien, die sich als hilfreich erwiesen haben? Ich freue mich, wenn du sie mit mir und uns teilst in den Kommentaren
sagt Christa Schäfer
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Lies hier Tipps für den Umgang mit Nörgler*innen.
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4 Antworten
Mit diesen Tipps kann ich was anfangen. Da habe ich mich bzw.mein Problem wiedergesehen was ich mit meiner Schwester habe die auch Vielrednerin ist. Ich Versuche einige Tipps umzusetzen u.hoffe das es klappt.Vielen Dank dafür.
Hallo Elisabeth, oh wie schön 🌞
Ich freue mich sehr, dass ich dich mit meinen Tipps unterstützen konnte.
Dann weiterhin alles Gute auf dem Weg in eine entspanntere Kommunikation !!
wünscht dir Christa
Hallo, wollte mal fragen wie man die grassierende Krankheit der Genderidologie, besonders beim Schreiben heilen kann.
Hallo Karl,
vielen Dank für Ihren Kommentar und dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meinen Blogartikel zu lesen. Ich verstehe, dass das Thema Gendern unterschiedliche Meinungen und auch Emotionen auslösen kann.
In meinen Texten wähle ich bewusst eine gendergerechte Sprache, weil ich Vielfalt sichtbar machen und allen Menschen den gleichen Respekt entgegenbringen möchte – unabhängig von Geschlecht oder Identität. Sprache formt unser Denken, und ich glaube, dass inklusive Formulierungen ein wichtiger Schritt hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft sind.
Natürlich liegt es aber auch immer ein Stück weit beim Leser, sich darauf einzulassen. Vielleicht ist Gendern für Sie ungewohnt oder fühlt sich sperrig an. Das ist gut nachvollziehbar, denn Veränderungen brauchen Zeit. Dennoch lade ich Sie ein, dem Thema offen und vorurteilsbewusst zu begegnen.
Ich hoffe, dass Ihnen mein Blogartikel spannende Impulse bieten konnte.
Herzliche Grüße von Christa Schäfer