Ein aggressiver Arbeitskollege
Frau Bayrak ist Geschichts- und Politiklehrerin an einer Berliner Realschule. Ihr Beruf macht ihr Spaß, trotz Stress und allen Herausforderungen, die jeder neue Schultag mit sich bringt. Am meisten Energie geht mittlerweile allerdings für ihren Arbeitskollegen Herrn Keller drauf, der sich sehr aggressiv verhält. Er ist cholerisch, wird lauter (insbesondere bei Diskussionen), ist sehr launisch und vermittelt ihr immer das Gefühl, etwas falsch zu machen oder an etwas die Schuld zu tragen. Herr Keller fällt ihr ins Wort, lässt ihre Perspektiven nicht stehen, regt sich schnell auf und steht unter konstanter Spannung – es wirkt so, als würde ihm jeden Moment der Kragen platzen.
Nach Interaktionen mit ihm fühlt sich Frau Bayrak erschöpft und energielos. Ihre Grenzen werden im Umgang ständig überschritten. Sie geht Herrn Keller aus dem Weg, wo sie nur kann, aber es hilft nichts, sie müssen sich auch miteinander absprechen. Ihre Schulklassen mit allen Anstrengungen zehren weniger an ihren Nerven als dieser Kollege – das kann doch nicht sein! Und dann hat sie noch einen Gedanken: Wenn Herr Keller sich schon bei ihr als erwachsener Frau und Kollegin so aggressiv verhält – wie benimmt er sich dann erst seinen Schulklassen gegenüber? Wie interagiert er mit Schüler*innen, die von ihm abhängig sind und denen er hierarchisch übergeordnet ist?!
Was hinter Aggressionen steckt
Frau Bayrak ist nicht allein: Zahlreiche Lehrkräfte, Pädagog*innen, Mediator*innen usw. haben mit aggressiven Menschen zu tun – seien es Kolleg*innen, Vorgesetzte, Schüler*innen oder Eltern. Und viele fragen sich: Warum ist das so? Was ist nur los mit dieser aggressiven Person?
Wenn Menschen sich aggressiv verhalten, bedienen sie sich (unbewusst) einer psychischen Schutzreaktion. Oft stehen andere Emotionen und Zustände hinter der Aggression, so wie Unsicherheit, Angst, Frustration, Stress oder Überforderung. Wut und Aggressionen können der aggressiven Person das Gefühl geben, selber stark, selbstbewusst und voller Energie zu sein. Sie kaschieren so ggf. Gefühle von Hilflosigkeit oder einen Mangel an Kontrollgefühl. Manchmal sind es auch ganz einfache Dinge, die Menschen aggressiv(er) werden lassen wie Lärm, Hitze, schlechte Luft, Gestank, Hunger, Durst oder Schmerzen.
Ein wichtiger Aspekt ist, was Menschen bereits erlebt haben und ob/wie sie gelernt haben, ihre Emotionen und Impulse zu kontrollieren. Wenn Menschen in ihrer Kindheit/Jugend viel beschämt und selber aggressiv behandelt wurden oder massive Gewalt erlebten, dann haben sie vielleicht keine guten Strategien erlernt, um ihre Impulse zu kontrollieren und konstruktiv und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Wollen sie nicht niedergemacht werden, dann müssen sie sich stark und unverletzlich zeigen, so die Logik. Und wenn sie unter Druck stehen und gelernt haben, hohe Erwartungen erfüllen zu müssen, dann kann das auch zu Aggressionen beitragen.
Zusammenfassend kann jedenfalls gesagt werden, dass aggressive Redner*innen in der aktuellen Situation nicht konfliktfähig sind.
Warum Menschen sich aggressiv im Gespräch verhalten, kann also ganz unterschiedliche Gründe haben. Wichtig ist in jedem Fall: Nur weil du verstehst, was Ursachen sein können, heißt es nicht, dass du das Verhalten deshalb akzeptieren musst oder dass es in Ordnung wäre, dich so zu behandeln. Es ist notwendig, mit deinem eigenen Verhalten etwas entgegenzusetzen und klare Grenzen zu setzen.
Was tun bei aggressiven Gesprächspartner*innen
Im Folgenden biete ich dir 15 Dos und 3 Don’ts an für den Umgang mit aggressiven Gesprächspartner*innen, die ich hilfreich finde:
Dos
- Gelassenheit und Ruhe: Ich weiß, es ist schwer, aber versuche, so ruhig und gelassen zu bleiben, wie es dir nur irgend möglich ist in dieser Situation. Das trägt dazu bei, die Situation zu entspannen. Wenn ihr euch gegenseitig hochschaukelt, ist nichts gewonnen.
- Aufmerksamkeit: Zeig deinem Gegenüber, dass du ganz Ohr bist und dass du wissen möchtest, was in ihm vorgeht. Mach dir ggf. Notizen, so dass Du später besser darauf eingehen kannst.
- Aktives Zuhören: Ermuntere dein Gegenüber zu sprechen und sich seinem Ärger Luft zu machen und reagiere mit „Ja“ und „Mmh“. Spiegele daraufhin die Gefühle, z.B.: „Wenn ich es richtig verstanden habe, ärgerst du dich vor allem über…“
- Sachliche Kommunikation: Reagiere inhaltlich auf dein Gegenüber und bleibe sachlich bei Vorwürfen und Spitzen.
- Zeige Verständnis und Empathie, z.B.: „Was du erzählst, hört sich ganz schön frustrierend und anstrengend für dich an.“ Das löst oft einen Knoten, überrascht die andere Person und kann eine Brücke bauen. Einfühlsam zu sein deeskaliert häufig eine angespannte Situation, weil sich die andere Person gesehen fühlt.
- Deine Meinung sagen und auch Raum einnehmen: Die andere Person soll nicht das Gespräch/die Diskussion monopolisieren. Deine Ansicht ist ebenso wichtig und der Redeanteil sollte etwa bei 50-50 liegen.
- Ich-Botschaften: „Ich fühle mich nicht wohl, wenn du mir meine Wahrnehmung absprichst. Es ist ok für mich, wenn unsere Perspektiven da auseinandergehen, aber ich bitte dich, meine Perspektive stehen zu lassen.“
- Den Ball zurückgeben und Nachfragen stellen: „Was meinst du damit?“ „Habe ich dich richtig verstanden…?“ „Wie stellst du es dir vor?“ „Was wünschst du dir konkret von mir?“
- Einen Puffer einbauen: „Das ist eine große Frage/Sache, darüber muss ich erst einmal nachdenken.“
- Grenzen setzen: „Ich möchte meinen Gedankengang zu Ende führen. Deine Meinung interessiert mich und du kannst sie mir gerne sagen, aber ich will nicht unterbrochen werden.“
- Auf das Wesentliche konzentrieren: Worum geht es gerade eigentlich? Wenn dein Gegenüber in Rage ist, kann ihm das schnell vom Schirm rutschen. Komm auf die Fakten und Themen zurück, die besprochen werden müssen/auf der Agenda stehen usw. Was ist das langfristige Ziel bei der Sache zwischen euch?
- Anerkennen der Stress-Situation: „Das ist jetzt eine stressige Situation für uns beide. Ich schlage vor, wir atmen beide mal tief durch und schauen, ob wir zueinanderfinden.“
- Kleine Unterbrechung: Wenn du merkst, dass die Wut in dir hochkocht, steh auf, um dir ein Wasser zu holen, einen Tee zu kochen oder auf Toilette zu gehen. Das gibt dir einen Moment, um durchzuatmen, dich innerlich zu sammeln und wieder bei dir anzukommen.
- Eine Pause einlegen: Wenn dein Gegenüber z.B. schreit, sagen: „Ich möchte nicht, dass du mich anschreist. So kann ich nicht reden. Mein Vorschlag ist, wir machen 10 Minuten Pause und schauen dann nochmal. Und sonst ist es vielleicht gut, das Gespräch zu vertagen und einen neuen Termin auszumachen.“
- Differenzen anerkennen: „Wir finden hier gerade nicht zusammen. Vielleicht können wir übereinstimmen, nicht übereinzustimmen. Danke in jedem Fall für deine Perspektiven.“
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Don’ts
- Einen Gegenangriff starten: Ich weiß, es ist unfassbar frustrierend, angegriffen zu werden und Vorwürfe gemacht zu bekommen, und es ist verlockend, es der anderen Person mit gleicher Münze zurückzugeben. Aber es führt nicht zu einer besseren Zusammenarbeit, Feuer mit feuer zu bekämpfen.
- Selber lauter werden: Wenn die andere Person laut wird und du nicht untergehen sondern gehört werden möchtest, ist möglicherweise dein Impuls, auch mit der Lautstärke nach oben zu gehen. Allerdings steigt dann der Lautstärkepegel und es wird gegenseitig immer schwerer, sich zu verständigen. Sprich daher ruhig, langsam und bedacht.
- Es persönlich nehmen: Das Verhalten deines Gegenübers hat nicht so viel mit dir und deinen Qualifikationen, Kompetenzen oder Eigenschaften zu tun. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Person auch andere so behandelt. Nimm nicht alles, was dir gegeben wird.
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Frau Bayrak hat ein paar von den Tipps mit Herrn Keller ausprobiert. Die beiden sind damit kleine Schritte vorangekommen, aber die Zusammenarbeit blieb zäh und anstrengend. Des Weiteren hat Frau Bayrak mit Kolleg*innen gesprochen und erfahren, dass sie nicht die einzige ist, der es mit Herrn Keller so geht. Das war hilfreich. Sie hat in der Supervision darüber gesprochen. Und sie hat von Herr Kellers Schüler*innen erfahren, dass sie von ihm angeschrien und heruntergeputzt werden. Frau Bayrak ist auf die Schulleiterin zugegangen und jetzt stehen Gespräche an.
Was sind deine Strategien und Tipps, um mit aggressiven Gesprächspartner*innen umzugehen? Ich freue mich über deine Ideen und Erfahrungen in den Kommentaren
sagt Christa Schäfer
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Lies hier wichtige Tipps für den Umgang mit Vielrednerinnen.
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