Hilfe, ein schlechtes Zeugnis: Es folgen zwei Szenen zum Zeugnistag. Die eine könnte in eine Katastrophe führen. Die andere in eine erfolgreiche Schullaufbahn. Lass dich inspirieren …
Szene 1: Ein Zeugnistag mit Katastrophe
Anna betritt mit gesenktem Kopf das Wohnzimmer. In ihrer Hand hält sie ihr Zwischenzeugnis, das sie nur widerwillig auf den Tisch legt. Ihr Vater greift danach, überfliegt es und seine Miene verfinstert sich augenblicklich.
„Eine Vier in Mathe? Anna, das ist doch nicht dein Ernst! Was machst du die ganze Zeit in der Schule?“
Ihre Mutter schüttelt den Kopf. „Das hätten wir uns ja denken können. Immer dieses Trödeln bei den Hausaufgaben!“
„Ich hab’s versucht!“, ruft Anna verzweifelt. „Ich verstehe es einfach nicht so gut wie die anderen!“
Ihr Vater seufzt genervt. „Dann musst du eben mehr lernen, anstatt dich mit deinen Freundinnen zu treffen. Das gibt erstmal kein Handy mehr!“
Anna ballt die Hände zu Fäusten, Tränen steigen ihr in die Augen. „Das ist so unfair!“ Sie dreht sich abrupt um, rennt in ihr Zimmer und knallt die Tür zu. Zurück bleibt eine angespannte Stille, in der ihre Eltern ratlos auf das Zeugnis starren.
Szene 2: Ein Zeugnistag, der gut ausgeht
Anna betritt mit gesenktem Kopf das Wohnzimmer. In ihrer Hand hält sie ihr Zwischenzeugnis, das sie nur widerwillig auf den Tisch legt. Ihr Vater nimmt es behutsam auf, überfliegt es und schaut sie dann an.
„Eine Vier in Mathe, hmm… Wie geht es dir damit, Anna?“
Anna zuckt mit den Schultern und vermeidet den Blick ihrer Eltern. „Ich weiß nicht… Ich hab wirklich versucht, es besser zu machen. Aber Mathe ist einfach so schwer für mich.“
Ihre Mutter setzt sich neben sie. „Danke, dass du ehrlich bist. Wir sehen ja auch, dass du dir Mühe gibst. Vielleicht können wir gemeinsam überlegen, was dir helfen könnte?“
Ihr Vater nickt. „Gibt es etwas, was dir im Unterricht besonders schwerfällt? Oder hast du das Gefühl, dass du anders lernen musst als in der Schule?“
Anna zögert kurz, dann schaut sie auf. „Manchmal verstehe ich die Erklärungen nicht so schnell wie die anderen. Und wenn ich dann nachfrage, haben wir schon das nächste Thema. Dann komme ich gar nicht mehr mit.“
Ihre Mutter legt eine Hand auf ihre Schulter. „Das klingt wirklich schwierig. Vielleicht könnten wir mit deiner Lehrerin sprechen und schauen, ob es eine Möglichkeit gibt, dir etwas mehr Unterstützung zu geben? Oder wäre eine Lern-App oder Nachhilfe etwas für dich?“
Anna denkt nach und nickt dann langsam. „Vielleicht… Ich glaube, eine App wäre gut. Dann kann ich selbst üben, ohne dass ich mich blöd fühle.“
Ihr Vater lächelt. „Das klingt nach einem guten Plan. Wir unterstützen dich dabei. Und weißt du was? Mathe ist nicht alles. Du hast in Deutsch und Kunst super Noten. Darauf kannst du wirklich stolz sein.“
Anna atmet erleichtert aus. „Danke, dass ihr nicht sauer seid. Ich will es ja auch besser machen.“
Ihre Mutter nimmt sie in den Arm. „Wir sind immer für dich da. Wir wollen, dass du dich gut fühlst und weißt, dass Fehler und Schwierigkeiten dazu gehören. Gemeinsam finden wir eine Lösung.“
Anna lächelt zaghaft. Diesmal bleibt die Tür zu ihrem Zimmer offen.
Inhalt
Der Zeugnistag
Der Zeugnistag ist leider in vielen Familien ein Tag, der für Stress sorgt. Ich habe das in meiner Zeit als Lehrerin oft genug gehört und mitbekommen: Das Gefühl der Unsicherheit, wenn Kinder mit ihrem Zeugnis nach Hause kommen, die Angst davor, wie die Eltern reagieren. Wird es Lob geben oder Vorwürfe? Werden Fehler als Chancen gesehen oder als Versagen? Kriege ich Stubenarrest oder gehen wir Eis essen?
Vielleicht ging es dir früher sogar ähnlich und du hast selbst als Kind diese Tage gehasst. Vielleicht sind sie dir aber auch in guter Erinnerung geblieben. Eines jedoch ist sicher: Heute, als Mutter, Vater oder Bezugsperson, hast du die Chance, den Zeugnistag für dein Kind zu einem positiven Erlebnis zu machen – ganz ohne Drama und Streit. Lass uns gemeinsam schauen, wie das gelingen kann.
Ich möchte an dieser Stelle auch erst einmal gar nicht viel über meine Ansicht zu Noten sprechen. Gar nicht davon berichten, dass Noten subjektiv sind und es heutzutage bessere Möglichkeiten des Lernfeedbacks gibt. Vielmehr möchte ich realistisch bleiben und Hinweise und Tipps für all diejenigen geben, für die der Zeugnistag in eine Katastrophe münden könnte, und die denken: Hilfe, ein schlechtes Zeugnis.
Ich persönlich bin absolut 100prozentig überzeugt: Ein schlechtes Zeugnis ist nicht das Ende der Welt. Es ist eine Momentaufnahme, keine Definition des Wertes oder der Fähigkeiten eines Kindes. Und es ist vor allem eine Gelegenheit, gemeinsam zu reflektieren, ohne Angst oder Druck.
Deshalb möchte ich in diesem Artikel zeigen, wie Eltern und Erziehungsberechtige den Zeugnistag für ihr Kind zu einem positiven Erlebnis machen können – und warum Noten nicht alles sind.
Zwischenzeugnisse: Was sie wirklich bedeuten
Erstmal durchatmen. Das Zwischenzeugnis ist kein finales „Urteil“ über ein Kind. Es ist lediglich ein Zwischenstand. Ein Snapshot, der nur einen kleinen Teil des Ganzen einfängt. Noten sind subjektiv – sie sagen viel über die Bewertung eines Lehrers oder einer Lehrerin aus, aber nicht unbedingt alles über die Talente, Fähigkeiten und das Potenzial eines Kindes.
Ich bin überzeugt, dass Kinder und Jugendliche auch ohne Noten erfolgreich lernen und wachsen können. Lernen ist ein individueller Prozess, und nicht jedes Kind passt in das Raster, das ein Schulsystem vorgibt. Deshalb ist es umso wichtiger, das Zwischenzeugnis als Gelegenheit für Gespräche und Reflexion zu sehen – und nicht als Bewertung der Persönlichkeit oder des Werts eines Kindes.
Häufige Fehler im Umgang mit Zwischenzeugnissen
Hier ein paar Stolpersteine, die ich bei vielen Familien beobachte – vielleicht erkennst du dich ja wieder:
- Übermäßiger Druck
„Wenn du in Mathe nicht besser wirst, gibt’s keine Ferien!“ oder „Was soll der Opa denken, wenn er das Zeugnis sieht?“ Solche Aussagen setzen ein Kind unter Stress und lassen es glauben, dass es nur durch Leistung Anerkennung findet. Das führt oft zu Frustration und Resignation, manchmal auch zu psychischen Problemen und Krankheiten.
- Fokus auf Schwächen
Hast du schon mal ein Zeugnis angesehen und sofort die „schlechte“ Note gesucht? Viele tun das. Dabei übersehen wir schnell die vielen Bereiche, in denen das Kind Fortschritte gemacht oder einfach gute Arbeit geleistet hat.
- Vergleiche mit anderen
„Deine Schwester hatte in deinem Alter immer Einsen.“ Solche Vergleiche sind Gift für die Motivation. Jedes Kind hat seine eigene Entwicklung, und diese sollte im Mittelpunkt stehen.
Konstruktiver Umgang mit dem Zeugnis
Hier sind 4 Tipps, wie Eltern das Gespräch über das Zeugnis positiv gestalten können:
1) Emotionen kontrollieren
Schau dir das Zeugnis erstmal in Ruhe allein an. Atme tief durch und lass die Informationen auf dich wirken, bevor du mit deinem Kind sprichst. So vermeidest du spontane und vielleicht verletzende Reaktionen.
2) Den Fokus auf die Stärken legen
Hebe die Bereiche hervor, in denen dein Kind besonders gut ist. Hat es sich in einem Fach verbessert? Hat es eine tolle Haltung in der Schule gezeigt? Vielleicht sind die Verhaltensnoten oder das soziale Engagement herausragend. Beispiel: „Ich finde es toll, dass du im Sport immer so engagiert mitmachst und deine Mannschaft unterstützt.“
3) Schwächen als Chancen sehen
Betrachte Schwächen nicht als Defizite, sondern als Ansatzpunkte für Wachstum. Frag dein Kind: „Was denkst du, könnte dir helfen, in Mathe sicherer zu werden?“ Oder: „Würde dir Nachhilfe Spaß machen, oder sollen wir das Thema anders angehen?“
4) Realistische Ziele setzen
Setzt euch gemeinsam kleine, erreichbare Ziele für das kommende Halbjahr. Statt zu sagen: „Du musst in Mathe eine Zwei schaffen,“ könnte das Ziel sein: „Lass uns schauen, dass du die Hausaufgaben jede Woche regelmäßig machst.“ Kleine Schritte führen oft zu großen Erfolgen.
Das Gespräch über das Zeugnis: So gelingt es
Ein gelungenes Gespräch über das Zwischenzeugnis ist offen, wertschätzend und lösungsorientiert. So könnte es aussehen:
1. Starte positiv:
Beginne mit etwas, das dein Kind gut gemacht hat. Beispiel: „Ich habe gesehen, dass du dich in Deutsch echt gesteigert hast. Das freut mich sehr.“
2. Frage nach den Gefühlen deines Kindes:
„Wie geht es dir mit dem Zeugnis? Gibt es etwas, was dich ärgert oder stolz macht?“ So zeigst du Interesse und gibst deinem Kind Raum, sich zu öffnen.
3. Entwickelt gemeinsam Ideen:
Arbeitet als Team an Lösungen. Beispiel: „Wie könnten wir Mathe für dich interessanter machen? Hast du Lust, ein Lernspiel auszuprobieren?“
Und der Blick über das Zeugnis hinaus
Noten sind nicht alles. Viele wichtige Kompetenzen – wie Teamfähigkeit, Kreativität oder emotionale Intelligenz – werden in Zeugnissen oft gar nicht erfasst. Aber genau diese Dinge machen Kinder später erfolgreich und glücklich.
Unterstütze dein Kind dabei, seine Stärken zu entdecken und außerhalb der Schule weiterzuentwickeln. Vielleicht liebt es das Zeichnen, das Bauen von Modellen oder das Musizieren. Solche Talente verdienen genauso viel Aufmerksamkeit wie Schulnoten.
Ideen für gemeinsame Aktivitäten am Zeugnistag
Wenn du überlegst, was du zum Anlass des Zeugnistages in deiner Familie unternehmen kannst, so gibt es hier einige gute Ideen dazu.
Die meisten der Ideen lassen sich auch für den Schulkontext umformulieren und sind damit auch für Lehrkräfte und Erzieher:innen relevant. Hier auch ein super Blogartikel für Lehrkräfte zur Gestaltung des Zeugnistages in der Schule.
- Highlight-Gespräch – Gemeinsam über die schönsten Erlebnisse und Erfolge des Schulhalbjahres sprechen.
- Zukunfts-Wunschliste – Wünsche und Ziele für das nächste Halbjahr sammeln und aufschreiben.
- Lob-Kärtchen gestalten – Eltern schreiben die Stärken des Kindes auf kleine Kärtchen, das Kind kann sich auch selbst loben.
- Zeugnisschatztruhe – Eine Box mit Erinnerungen an das Schulhalbjahr füllen: Bilder, kleine Notizen oder besondere Momente.
- Dankbarkeitsrunde – Jeder nennt drei Dinge, die in den letzten Monaten gut liefen und Freude gemacht haben.
- Eis essen & feiern – Unabhängig vom Zeugnis gemeinsam einen schönen Moment genießen.
- Entspannungszeit – Gemeinsamer Kinonachmittag, ein Ausflug oder einfach ein freier Nachmittag ohne Pflichten.
- Familien-Zukunftsvertrag – Gemeinsam überlegen: Was wünschen wir uns als Familie für die nächsten Monate? Kleine Ziele oder neue Rituale festlegen.
Fazit
Was hat uns der Blogartikel gezeigt? Ein Zwischenzeugnis ist kein Grund für Streit oder Druck. Es ist ein Zwischenstopp auf dem Weg eines Kindes – eine Chance, gemeinsam zu reflektieren, zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Als Elternteil kannst du diesen Tag nutzen, um dein Kind zu stärken, statt es zu kritisieren. Ich hoffe, damit tritt der Satz „Hilfe, ein schlechtes Zeugnis“ bei euch nicht mehr auf. Deine guten Reaktionen können zur Resilienz deines Kindes beitragen und Angstörungen vermeiden. Mit guter Kommunikation, Wertschätzung und einem Blick auf das große Ganze kann der Zeugnistag zu einem positiven Erlebnis werden – für alle Beteiligten.
Einen schönen Zeugnistag wünscht Christa Schäfer
Und hier noch der Link zu einem wunderbaren Lied von Reinhard May:
2 Antworten
Auch bei uns werden heute Nachmittag die Zeugnisse des 1. Semesters abgegeben 🙂
Als Lehrperson fördere und fordere ich die S:S beim Aufbau ihrer Kompetenzen. Dazu gehören auch regelmässige Rückmeldungen an meine Jugendlichen und deren Eltern zum Lernstand, über Arbeits- und Lerntechniken, Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten.
Als Lehrperson bin ich mit den S:S und ihren Eltern immer im Gespräch. Kompetenzorientierter Unterricht bedeutet regelmässiges formatives Feedback, Begleitung des Lernens, Austausch mit S:S, Unterstützung, Fokussieren auf die Stärken und Unterstützen bei Schwächen.
Seit einigen Jahren setze ich die Zeugnisnoten und lasse anschliessend meine S:S ebenfalls die ihre Noten setzen. Bei 40 S:S ergibt sich jedes Mal das gleiche Bild: In zwei bis drei Fällen stimmen unsere Noten nicht überein, bei allen anderen sind wir uns einig. Erstaunt nicht, wir sind ja während des ganzen Semesters im Gespräch.
So führen Zeugnisse zu keinen Überraschungen und S:S wie auch Eltern können sich an ihren erbrachten Leistungen erfreuen.
(Ich kenne das deutsche Schulsystem wenig, daher beziehen sich meine Aussagen auf die Schweiz)
Hallo Gabriella,
Vielen Dank für diesen inspirierenden Einblick in deine Praxis! Ich finde es großartig, wie du als Lehrerin den Fokus auf kontinuierliches, kompetenzorientiertes Lernen legst und Zeugnisse für deine Schüler:innen nicht zu einer Überraschung, sondern zu einer Bestätigung ihres Weges machst.
Besonders beeindruckend finde ich deine Methode, die Schüler:innen ihre eigenen Noten setzen zu lassen – das stärkt nicht nur die Eigenverantwortung, sondern zeigt auch, dass gute Begleitung und regelmäßiges Feedback ein realistisches Selbstbild fördern. Dass sich eure Einschätzungen in fast allen Fällen decken, spricht für eine wertschätzende, transparente und faire Lernkultur. Sehr beeindruckend.
Ich wünschte, dieses Vorgehen wäre weiter verbreitet! Und dein Bericht zeigt ja auch, wie sinnvoll eine dialogische Bewertungskultur ist – ein echtes Vorbild für den Umgang mit Zeugnissen.
Herzlichen Dank für deinen wertvollen Beitrag! 😊
Und wie schön, hier auch eine Leserin aus der Schweiz zu haben. 🎉